Demenz - gelassen betreuen und pflegen - Das stärkende Hilfebuch für Betroffene und Angehörige

Demenz - gelassen betreuen und pflegen - Das stärkende Hilfebuch für Betroffene und Angehörige

von: Elisabeth Lange

GRÄFE UND UNZER, 2017

ISBN: 9783833863011

Sprache: Deutsch

192 Seiten, Download: 6309 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Demenz - gelassen betreuen und pflegen - Das stärkende Hilfebuch für Betroffene und Angehörige



OFFENHEIT ALS WEG


Demenz, Alzheimer, Abbau der geistigen Fähigkeiten – die Worte schweben wie eine Drohung über uns, sobald wir an das Alter denken. Sich zu informieren, sich wirklich kundig zu machen, das kann dem Ganzen ein wenig von seinem Schrecken nehmen. Das gilt insbesondere, wenn wir zu Pflegenden geworden sind oder es bald werden könnten.

DAS TABU BRECHEN


Verschämt, entmutigt, überfordert – oder besser: informiert, aufgeklärt, unterstützt? Wie wir auf die Demenz blicken, kann entscheidend bestimmen, wie uns der Umgang mit vergesslichen Menschen gelingt.

Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sorgen Sie sich vielleicht um einen Angehörigen, der vergesslicher wird. Es könnte sein, dass Sie als Partner oder als Kind seine vertrauteste Person sind und fühlen, dass Sie bald mehr Verantwortung übernehmen müssen. Oder Sie erleben, wie ein vergesslicher Mensch für seine Angehörigen zur Herausforderung gerät. Vielleicht aber pflegen Sie ein Familienmitglied bereits seit geraumer Zeit und wollen es einfach noch besser hinkriegen. Womöglich arbeiten Sie in einem pflegenden Beruf und nehmen dieses Buch zur Hand, um die Sorgen der Angehörigen noch besser zu verstehen und den Kontakt zu ihnen leichter und hilfreicher zu gestalten.

Doch wie soll das gehen bei dieser Krankheit, die trotz gigantischer Forschungsmittel bisher nicht besiegt werden konnte? Der Umgang damit ist eine Herausforderung für uns als Gesellschaft und für jeden persönlich, der sich damit konfrontiert sieht. Was helfen kann? Wissen! Praktisches Know-how, das den Betroffenen, ihren pflegenden Angehörigen und ihren Freunden dabei hilft, mit der Krankheit möglichst entspannt weiterzuleben. Noch immer bestimmen Klischees das Bild von Demenz und eine Menge Leute redet darüber – ohne eigene Erfahrung.

Unbestritten gehört das Aufzeigen von Missständen in der Pflegewirtschaft zu den legitimen Aufgaben der Medien. Doch es schürt auch Ängste. Denn wie soll man auf der persönlichen Ebene mit diesem enormen gesellschaftlichen Manko umgehen und die eigenen Angehörigen – oder auch sich selbst – davor schützen?

Wir lassen das Thema lieber nicht zu nah an uns heran und reden ungern darüber, wenn in unserer Umgebung ein Mensch seine Erinnerungen verliert. Denn fast immer beschleicht uns dabei der Gedanke, wir könnten irgendwann auch betroffen sein. Und dem möglichen Niedergang des eigenen Denkvermögens entgegenzusehen, das ist wahrhaftig nichts für Feiglinge.

Auch das Erleben, dass »es« einen Angehörigen, unsere Mutter, unseren Vater, unsere Schwester oder unseren Bruder, treffen könnte oder bereits getroffen hat, kann überwältigend und nur schwer zu tragen sein.

Mein Vorschlag in all dem: Versuchen wir es doch mit mehr Offenheit! Über die alltäglichen Probleme von Betreuten und Betreuern reden, das Thema nicht unter den Teppich kehren – das hilft dabei, die Krankheiten der Vergesslichkeit zu verstehen und ein wenig leichter zu nehmen.

STATISTISCH GESEHEN TRAGEN NUR KNAPP 7 PROZENT DER ÜBER 65-JÄHRIGEN EIN RISIKO, AN EINER DEMENZ ZU ERKRANKEN. NICHT JEDES »VERGESSLICHWERDEN« IST ALSO WIRKLICH DEMENZ.

Mehr Offenheit zeigt auch: Der Alltag von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sieht zum Glück anders aus, als viele Menschen denken! Die Realität präsentiert sich viel freundlicher als das triste Klischee, denn die allermeisten Familien sorgen hingebungsvoll für ihre vergesslichen Angehörigen und wachsen Tag für Tag mit ihrer Aufgabe. Gelingt sie, dann beschreiben sie die Pflege als positiv und erfüllend. Wie beherzt der Einsatz der pflegenden Angehörigen ist, zeigt sich an vielen Stellen und bei vielen Themen dieses Buchs. Fakt ist: Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst der Nation!

Uns Gesunden öffnet mehr Offenheit die Augen dafür, wie vielfältig die geistigen Fähigkeiten sind, die man braucht, um den Alltag zu meistern. Und nur wenn wir das innere Erleben eines vergesslichen Menschen begreifen, wenn wir also seine Welt mit seinen Augen sehen, können wir ihm richtig helfen und dabei sogar unsere eigenen Kräfte schonen. Wenn wir uns auf diese Vorstellung einlassen, könnte dies der erste Schritt zur Befreiung sein und zu einem leichten und fürsorglichen, vielleicht sogar heiteren Umgang mit den Betroffenen führen.

WERBEN UM SCHUTZ UND VERSTÄNDNIS


Zum Glück ist Deutschland ein Land des langen Lebens. Menschen um die vierzig haben im Schnitt noch vier Jahrzehnte vor sich. Dass wir heute alle älter werden können, ist ein Erfolg unserer gebildeten und wohlhabenden Gesellschaft. Wäre es da nicht an der Zeit anzuerkennen, was wir eigentlich schon wissen? Dass nämlich das Gehirn im Alter oft nicht mehr so perfekt funktioniert wie in jungen Jahren. Und dass ebenso gilt, dass sich nicht jeder ältere Mensch, der vergesslich wird, auf dem Weg in eine Demenz befindet. Wie aber sieht er aus, unser gegenwärtiger Umgang mit der Vergesslichkeit?

Schauen Sie sich doch einmal die Szene an, die in dem Kasten auf der folgenden Seite beschrieben ist. Können Sie sich in dieses Geschehen und in die Stimmung auf der Zugreise hineinversetzen? In die lastende Schwere des Schweigens? Das Verschämte und Demütigende? Was alle fünf Reisenden in dem ICE-Abteil bedrückt, ist ein Tabu. Verhält sich jemand ungewöhnlich und versteht nicht, was sich gerade um ihn herum abspielt, sehen viele von uns lieber weg. Wir halten es sogar für höflich, so zu tun, als hätten wir überhaupt nichts bemerkt.

In unserem Beispiel leidet die Tochter stumm, weil sie zu wissen glaubt, wie die anderen Anwesenden über die Erkrankte denken. Ihre altersverwirrte Mutter ist derweil gestresst von der ungewohnten Situation. Sie leidet unter dem Nachlassen ihrer geistigen Fähigkeiten und reagiert doppelt empfindlich in der fremden und irgendwie starren, stummen Umgebung. Menschen mit einer Demenz haben nämlich meistens einen ausgeprägten Sinn für Stimmungen. Die logische Folge: Die ältere Frau will weg aus dieser für sie unverständlichen und bedrückenden Situation, sie will aussteigen.

WAS OFFENHEIT BEWIRKT – TEIL 1

Begeben wir uns auf eine Bahnreise. Fünf Menschen steigen am Hamburger Hauptbahnhof ins gleiche Abteil des ICE nach Frankfurt. Die beiden letzten, zwei junge Männer mit großen Rucksäcken, grüßen beim Eintreten freundlich in die Runde. Von einem älteren Herrn ernten sie dafür ein Lächeln und eine einladende Handbewegung.

Zwei Frauen, elegant in Blau und Grau, der Ähnlichkeit nach zu urteilen Mutter und Tochter, sind zu beschäftigt zum Grüßen. Sie verstauen ihr Gepäck. Die Ältere setzt sich zwar für Sekunden hin, steht aber sofort wieder auf, ergreift ihre Tasche und sagt: »Wir müssen aussteigen.« Ihre Tochter bleibt sitzen, hält den Kopf gesenkt, berührt die Ältere am Arm und antwortet leise: »Nein, Mutti, wir bleiben noch.« Die Mutter setzt sich zögernd wieder hin, steht aber kurz darauf erneut auf.

Im Lauf der nächsten Stunden wiederholt sich diese Szene fast wortgleich wieder und wieder. Ansonsten herrscht im Abteil Schweigen. Gegen Ende der Fahrt wirken Mutter und Tochter erschöpft, die mitreisenden Männer atmen erlöst auf, als sie das Abteil verlassen.

Offen für die Gefühlswelt eines Menschen mit Demenz

Die Erwartungen, die die Tochter bei der Zug­reise an die Mitfahrenden hat, müssen überhaupt nicht mit deren Blick auf die alte Frau übereinstimmen. Nicht jeder hat persönliche Erfahrungen mit vergesslichen Menschen. Vor allem die Jüngeren denken oft, sie würden nur in Heimen gepflegt, und reagieren mit Verwunderung, wenn sie erfahren, dass derzeit in Deutschland zwei von drei Menschen mit einer Demenzerkrankung in den eigenen vier Wänden leben. Die Last tragen also weder Staat noch Gesundheitssystem, sondern es sind Angehörige, Freunde und Nachbarn, die sich über Jahre hinweg um Menschen mit nachlassenden geistigen Fähigkeiten kümmern. Fast zwei Drittel der pflegenden Angehörigen wünschen sich mehr emotionale Unterstützung. Offenheit kann helfen, diesen Wunsch zu erfüllen. Bereits in dem Moment, in dem wir anderen vom Wesen der Erkrankung erzählen, lindern wir unsere Sorgen, schwächen das gesellschaftliche Tabu und können auf Anteilnahme hoffen. Man muss dafür nicht einmal groß ins Thema einsteigen – es genügt, anderen offen über die Pflege eines Angehörigen zu erzählen. Wie erlebt man sie? Was ist daran schwierig? Was vielleicht auch berührend und bereichernd?

Es ist ja so: Die Erinnerung geht, die Gefühle bleiben. Wie sich durch Offenheit Nichtbetroffene in die Situation eines Pflegenden hineinversetzen können – so können wir auch versuchen, uns in die Lage des Erkrankten zu versetzen. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wie es wäre, wenn wir uns auf das eigene Erinnerungsvermögen einfach nicht mehr verlassen könnten, weil der Kopf seinen Dienst verweigert.

Wie würden wir uns fühlen, wenn um uns herum alles jeden Tag ein bisschen unbegreiflicher würde, weil die Menschen oft viel zu schnell in einer schwer verständlichen Sprache reden? Was wäre, wenn Informationen, Erfahrungen und Eindrücke innerhalb von Minuten wieder verfliegen und wir sie weder festhalten noch zurückrufen könnten? Was wäre, wenn wir auf die Fragen der anderen keine Antwort mehr wüssten, wenn uns einfach nichts einfiele, was wir sagen könnten?

NUR WENN SIGNALE RASEND...

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