Mobbing und Bullying unter alten Menschen - Was tun, wenn alte Menschen sich drangsalieren, schikanieren und tyrannisieren?

Mobbing und Bullying unter alten Menschen - Was tun, wenn alte Menschen sich drangsalieren, schikanieren und tyrannisieren?

von: Robin P. Bonifas

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456757674

Sprache: Deutsch

152 Seiten, Download: 6084 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Mobbing und Bullying unter alten Menschen - Was tun, wenn alte Menschen sich drangsalieren, schikanieren und tyrannisieren?



1
Schikanöses Verhalten unter alten Menschen: Einführung


„Er nennt mich ‚Fettsack‘. Er sagt ‚Hei Fettsack.‘ Während er den Flur entlang zum Aufzug geht … macht er Grunzgeräusche [wie ein Schwein].“

Diese Bemerkung, und ähnliche, stammt von einem 72-jährigen Bewohner einer Einrichtung für unterstütztes bzw. Betreutes Wohnen (Bonifas, 2011). Die Zielperson, eine 78-jährige Frau, musste sich derlei Bemerkungen von diesem Bewohner seit mehr als einem Jahr anhören, kurze Zeit nachdem sie in die Einrichtung gezogen war. Diese ständigen negativen Bemerkungen über ihre Figur wirkten sich negativ auf ihr Selbstwertgefühl aus und führten dazu, dass sie sich isolierte; sie sagte, sie vermeide es, ihr Zimmer zu verlassen aus Angst, dass dieser Mitbewohner sich lustig über sie macht. Sie bezeichnete ihn als „brutalen Kerl“. Was diese Frau erlebte, ist relationale Aggression, eine Form von schikanösem Verhalten (Bullying), die häufig unter alten Menschen vorkommt, die in Wohngemeinschaften und Organisationen leben, die umfassende Dienstleistungen anbieten. Unter relationaler Aggression wird ein Verhalten verstanden, welches die Beziehung schädigt.

Menschen, die selten mit alten Menschen zu tun haben, nehmen irrigerweise an, dass die Population größtenteils aus „netten Omis und Opis“ besteht, die prima miteinander auskommen. So sind viele Menschen denn auch höchst erstaunt, wenn sie erfahren, dass es schikanöses Verhalten unter alten Menschen tatsächlich gibt. Das ist die Realität. Bullying wird eher mit Jugendlichen in der Schule in Verbindung gebracht, doch Untersuchungen und Medienberichte zeigen, dass dieses Verhalten auch unter alten Menschen sehr verbreitet ist. Ein Beispiel: Bis zu 20% der alten Menschen in Einrichtungen für unterstütztes bzw. Betreutes Wohnen oder Pflegeeinrichtungen (Bonifas/Kramer, 2011; Trompetter/Scholte/Westerhof, 2011) und 50% in unabhängigen Senioren-Wohnanlagen (Benson, 2012) geben an, schon einmal in irgendeiner Form von Mitbewohnern schikaniert worden zu sein. Wie eine Pilotstudie zur Erforschung des schikanösen Verhaltens unter alten Menschen ergab, waren 28 von 30 der befragten Bewohner in den Einrichtungen für unterstütztes Wohnen seit ihrem Einzug schon einmal Schikanen oder anderen negativen sozialen Interaktionen vonseiten ihrer Mitbewohner ausgesetzt, und alle hatten schon einmal beobachtet, wie Mitbewohner schikaniert wurden (Bonifas, 2011).

Anders als das Sprichwort aus Kindertagen „Stöcke und Steine brechen meine Knochen, aber Schimpfworte werden mich nie verletzen“ suggeriert, erzeugt Bullying nicht nur emotionalen Stress bei Zielpersonen und Beobachtern, sondern es verhindert auch die Entwicklung eines positiven Gemeinschaftsgefühls in den Wohngemeinschaften und Pflegeorganisationen für Senioren. (In diesem Buch wird der Begriff Zielperson anstatt Opfer verwendet, um deutlich zu machen, dass Menschen, die schikaniert werden, verletzendem Verhalten nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern solche Situationen mithilfe effizienter Strategien verhindern können.) Ein Beispiel: Alte Menschen, die angaben, im Jahr zuvor von Mitbewohnern schikaniert worden zu sein, erzielten mehr Punkte auf der Depressions-Skala und weniger auf der Selbstwert-Skala als Mitbewohner, die nach eigenen Angaben nicht schikaniert wurden (Bonifas, 2011). Sie berichteten zudem, dass vorhandene psychische Probleme durch Bullying oft verstärkt wurden. Alte Menschen, die schikanöses Verhalten beobachteten, fühlten sich erbärmlich und hilflos, wenn sie zusehen mussten, wie auf ihren Mitbewohnern herumgehackt wurde. Da sie nicht wussten, was sie tun sollten, mischten sie sich nicht ein und schämten sich hinterher, dass sie nicht versucht hatten, die negative Interaktion zu unterbinden. Das durch schikanöses Verhalten in der ganzen Organisation erzeugte schlechte Klima führt außerdem zu Unzufriedenheit mit der Lebenssituation und lässt die Betroffenen immer öfter über Auszug nachdenken (persönliches Gespräch, Marsha Frankel, 30. März, 2011).

Auch die Mitarbeiter leiden, wenn sie Schikanen und andere negative Interaktionen unter alten Menschen miterleben müssen. Mitarbeiter, die versuchen, ein angenehmes Umfeld zu schaffen, werden durch schikanöses Verhalten der von ihnen zu betreuenden Bewohner in ihren Bemühungen gestört. Ein Beispiel: Unter den Bewohnern einer seniorenfreundlichen Gemeinschaft, die die Bewohner nicht mehr nach Intensität ihrer Pflege trennte, gab es ständig Spannungen zwischen den Bewohnern, die selbständig waren und denen, die Unterstützung brauchten. Die Bewohner, die allein zurechtkamen und besser funktionierten, stellten unmissverständlich klar, dass sie mit den Bewohnern, die Unterstützung brauchten und schlechter funktionierten, nichts zu tun haben wollten (persönliches Gespräch, Alyse November, 5. September, 2015).

Der Umgang mit schikanösem Verhalten unter alten Menschen ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, die Lebensqualität und das emotionale Wohlbefinden der Bewohner und Mitarbeiter in Wohngemeinschaften und Pflegeeinrichtungen für Senioren zu verbessern. Zum Einstieg in das Thema sollen zunächst die verschiedenen Formen schikanösen Verhaltens unter alten Menschen vorgestellt werden.

1.1
Schikanöses Verhalten: Definition


Schikanöses Verhalten ist ein vorsätzliches, wiederholt auftretendes, aggressives Verhalten, das auf einer ungleichen Verteilung von Macht oder Stärke beruht (Hazelden Foundation, 2011). Schikanöses Verhalten unter alten Menschen ist zudem gekennzeichnet durch „anhaltendes negatives interpersonelles Verhalten“ (Rayner/Keashly, 2005, S. 271), das gegen eine bestimmte Person oder Gruppe von Personen gerichtet ist (Rayner/Keashly, 2005). Wie bereits erwähnt manifestiert sich dieses negative Verhalten unter alten Menschen oft als relationales Bullying, eine nicht körperliche Aggression, die durch Tratsch, Verbreitung von Gerüchten und öffentlichen Spott verhindern soll, dass sich Beziehungen und soziale Kontakte in der Gemeinschaft entwickeln (Hawker/Boulton, 2000).

Erstaunlicherweise ist schikanöses Verhalten unter alten Menschen dem schikanösen Verhalten unter Jugendlichen sehr ähnlich. Beides ist gekennzeichnet durch verbale, körperliche und antisoziale oder relationale Verhaltensweisen, die im Kontext sozialer Beziehungen innerhalb von Gemeinschaften auftreten. Des Weiteren sind die Zielpersonen von schikanösem Verhalten emotional stark belastet, egal welcher Altersgruppe sie angehören.

1.2
Die verschiedenen Arten von schikanösem Verhalten


In den folgenden Abschnitten werden die Merkmale der drei Arten von schikanösem Verhalten unter alten Menschen vorgestellt: verbal, antisozial oder relational und physisch.

1.2.1
Schikanöses Verhalten: verbal


Verbales schikanöses Verhalten zielt darauf ab, eine andere Person einzuschüchtern oder auf andere Art deren Macht zu torpedieren. Es äußert sich in Form von Beschimpfungen, bösartigen Sticheleien, Beleidigungen, Spott, Bedrohungen, sarkastischen Bemerkungen oder anzüglichen Witzen. Ein Beispiel für verbales schikanöses Verhalten ist die Beschimpfung der 78-jährigen Frau am Anfang dieses Kapitels. Ein anderes Beispiel beschreibt George, Bewohner einer Einrichtung für unterstütztes Wohnen, der von einem Mitbewohner regelmäßig bedroht wurde: „Da gibt es jemanden, der versucht, die Nummer Eins unter den Rabauken zu sein. [Er kommt] auf mich zu [und sagt] „Eines Tages werde ich dich mit dem Hammer bearbeiten.“ Auch wenn niemand weiß, ob der Bewohner, der George bedroht hat, überhaupt einen Hammer besitzt und wirklich die Absicht hat, diese Gewalttat auszuführen, bewirkt die Wiederholung der Drohung, dass George in ständiger Angst lebt. Diese Angst wird durch die Unvorhersehbarkeit noch verstärkt; George konnte weder absehen, wann die Drohung in die Tat umgesetzt wird noch wissen, was sie ausgelöst hat.

1.2.2
Schikanöses Verhalten: antisozial oder relational


Antisoziales oder relationales schikanöses Verhalten, das sich verbal oder nicht verbal äußert, ist gekennzeichnet durch Verhaltensweisen, die darauf abzielen, die sozialen Beziehungen einer anderen Person zu stören oder ihre sozialen Kontakte einzuschränken. Beispiele für dieses Verhalten sind: den Kontakt meiden, ausgrenzen oder ignorieren, tratschen, den Gang oder die Behinderung der Person nachahmen, beleidigende Gesten oder Gesichtsausdrücke machen, Kopf oder Körper abwenden, wenn die Zielperson spricht, eine bedrohliche Körpersprache zur Schau stellen oder absichtlich in die die Person umgebende Sphäre eindringen. Paula, Bewohnerin einer Senioren-Wohnanlage, sagt: „Für mich ist schikanöses Verhalten eine Zermürbungstaktik …[es ist nicht] einfach nur ein ständiges Stoßen, Schubsen und Kämpfen …[es] hat etwas Zermürbendes, so als wenn man durch eine Tür gehen will und jemand stellt sich einem [absichtlich] in den Weg“ (persönliches Gespräch, 8. April, 2014). John, ein anderer Bewohner, wurde von Mitbewohnern gemieden. Nachdem er durch Hurrikan Katrina sein Zuhause verloren hatte und in eine Senioren-Wohnanlage in einem anderen Staat umgesiedelt war, streuten einige Bewohner aus Johns neuer Wohnanlage das Gerücht, er sei ein Langzeit-Obdachloser und der Erste einer riesigen Gruppe ehemaliger Obdachloser, die in ihrer Wohnanlage „abgeladen“ würden. Die Folge davon war, dass die anderen Bewohner anfingen,...

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