Im Garten der neuen Freiheiten - Ein Reiseführer für die späten Jahre

Im Garten der neuen Freiheiten - Ein Reiseführer für die späten Jahre

von: Julia Onken

Verlag C.H.Beck, 2015

ISBN: 9783406684234

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 2713 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Im Garten der neuen Freiheiten - Ein Reiseführer für die späten Jahre



II
Spieglein, Spieglein an der Wand …


 

 

Grundkapital Schönheit

Die gesamte weibliche Sozialisation läuft darauf hinaus, das eigene körperliche Erscheinungsbild zu kultivieren, zu zelebrieren und bei Bedarf eventuell zu korrigieren. Mehr noch. Bei nicht wenigen Frauen wird sich im Laufe der Zeit herausstellen, dass die äußere Erscheinung, die möglichst wohlgestaltet sein sollte, auch das einzige zur Verfügung stehende Kapital darstellt, was sie besitzen. Zudem erlebt jedes heranwachsende Mädchen, dass es ohne spezielle Anstrengung und ohne besonders herausragende Leistungen Beachtung und Aufmerksamkeit ernten kann, wenn sein Erscheinungsbild auch nur einigermaßen den Vorlieben und Trends des jeweiligen Zeitgeistes entspricht. Und wenn sich die Natur in ihrer Gestaltungskraft nicht total vergriffen hat, ist der überwiegende Teil der jungen Mädchen einfach hübsch anzusehen. Begegnet man gar einer Gruppe Girls, ist es ein überwältigender und höchst erfreulicher Anblick, als sehe man einen von bunt blühenden Blumen übersäten Garten.

Während die heranwachsende junge Frau für ihre körperliche Darstellung Aufmerksamkeit erhält, ist der Blick auf ihre individuellen Interessen, ihre speziellen Vorlieben, Begabungen und Talente hingegen weniger scharf eingestellt und wird deshalb von ihr selbst kaum besonders zur Kenntnis genommen. Ein sehr intelligentes Mädchen erlebt, dass es eher durch seine attraktive Erscheinung als durch Schlagfertigkeit und Klugheit Aufsehen erregt. Nicht zu unterschätzen ist überdies seine Möglichkeit, erotische Phantasien und letztlich auch Verlangen beim männlichen Betrachter in Gang zu setzen. Es ist sozusagen ihr zusätzlicher Joker, den sie jederzeit ausspielen kann und den sie entweder gekonnt und unübersehbar zelebriert oder diskret, beinahe zufällig einsetzt. Der oberste Blusenknopf, der sich wie von Geisterhand öffnet, der Intimität verheißende Griff ins füllige Haar, das sanfte Wegstreichen einer Locke von der Stirn oder das neckische Spiel, sich zu räkeln und verführerisch hinzudrapieren, das beim Betrachter horizontale Wonnen in Aussicht stellt. So ist es nicht verwunderlich, wenn bereits in jungen Jahren das kokette Spiel neckischer, verführerischer Arabesken virtuos zur Anwendung gelangt und das ins Auge gefasste Zielobjekt dem vom Östrogen-Fluidum durchwehten Duftbouquet wie betäubt erliegt. Für viele Frauen gehört die Fähigkeit, sich wirkungsvoll in Szene zu setzen, genauso zur Grundausrüstung zukünftiger Lebensbewältigung wie Rechnen und Schreiben. Und so wie sich Männer darin schulen, sich auf dem Finanzmarkt zu positionieren, um möglichst hohe Gewinne einzufahren, gehört zum weiblichen Arbeitsumfeld noch immer die Bewirtschaftung geschlechtsspezifischer Merkmale zur selbstverständlichsten Sache der Welt. Wie der Bauer seine Felder bestellt, bewirtschaften Frauen ihren weiblichen Acker und spekulieren auf eine möglichst hohe Ertragslage.

So bildet das implizite Schönheitskapital sozusagen ein leistungsunabhängiges Grundeinkommen, im Sinne einer existentiellen Zukunftssicherung. Nun könnte man dagegenhalten, dass in der heutigen Zeit Attraktivität längst nicht mehr von einer derartigen Bedeutung sei. Der Schein trügt gewaltig. Was bei vielen Liebesarrangements den Ausschlag gibt, lässt sich klar benennen: via körperliche Anziehung erotisches Verlangen in Gang zu setzen. Schönheit, Attraktivität ist demnach ein Wert an sich, der auf der weiblichen Seite geschickt eingesetzt und verwaltet wird, um dadurch einen höheren sozialen Satus zu erlangen, der satte Erträge verspricht. Selbst in Zeiten, in denen Frauen sämtliche Berufsmöglichkeiten offenstehen, ist das traditionelle weibliche soziale Aufstiegsmuster immer noch beliebt. Die Frau orientiert sich fiskalisch, bildungsformalistisch und statusmäßig nach oben, der Mann nach unten. Die asymmetrischen Beziehungskonstellationen verdeutlichen das ungeschriebene Gesetz dieser Dynamik: der Chef mit der hübschen Sekretärin, der Arzt mit der netten Krankenschwester, der Pilot mit der attraktiven Flugbegleiterin, der Wirtschaftsboss mit dem Model, der Schauspielerin oder der Tabledance-Tänzerin. Wenn sich ein Mann in der Wahl seiner Partnerin im sozial schwächeren Gebiet umsieht und sich entsprechend entscheidet, muss die Frau als Gegenleistung unübersehbare körperliche Vorzüge mitbringen. Erfolgreiche Männer, die ein hohes Amt bekleiden, sei es im Kunstbetrieb oder in der Wirtschaft – in der Politik nicht durchgängig –, zeigen sich in der Öffentlichkeit meist mit Partnerinnen, die den Maßen einer Heidi Klum durchaus standhalten.

Zudem werden wir ja täglich von Erfolgsgeschichten überflutet, wie junge Frauen, flankiert von körperlichen Vorzügen, ihr Glück gemacht haben. Da wird von einer hübschen, wonnigen argentinischen Bankangestellten berichtet, die plötzlich vom damaligen holländischen Thronfolger zur Gemahlin auserkoren wird; eine attraktive TV-Journalistin, die es an die Seite des spanischen royalen Repräsentanten geschafft hat. Oder die englische Kunststudentin, die auf direktem Weg von der Kommilitonin des Kronprinzen zur Etage der Windsors aufgestiegen ist. Auch historisch ist diese Art von Karriere vielfach belegt und erfreute sich eines regen Gebrauchs. Die Mätressenwirtschaft im 17. und 18. Jahrhundert am französischen Hof erzählt fulminante Geschichten von hübschen jungen Mädchen, die aus dem Nichts kamen, aber dank ihrer Fähigkeit, beim männlichen Adel erotisches Begehren auszulösen, auserkoren wurden, um – wenn meist auch nur für wenige Atemzüge – am luxuriösen höfischen Leben zu partizipieren. Handelte es sich beim Aufstieg gar um einen Gekrönten, war hinterher der Fall umso tiefer. Wenn sich ihre Reize etwas abgegriffen hatten, wurden die Aufsteigerinnen von der nächsten Anwärterin ersetzt und einfach entsorgt; das Kloster bildete in manchen Fällen die Endstation für diese Frauen.

Eine der wenigen Frauen, die nicht diesem unrühmlichen Schicksal erlag, war Madame de Pompadour. Jeanne-Antoinette Poisson, ein Mädchen aus dem Volk, bildhübsch, kokett und zauberhaft anzusehen, eroberte sich den höchsten Titel, den es im 18. Jahrhundert für eine Frau zu erobern galt: Maîtresse en titre, Geliebte des Königs Ludwig XV. von Frankreich. Die Liste der Frauen, die sich dank Schönheit und graziler Wohlgestalt in eine sozial komfortablere Stufe hinaufgearbeitet haben, ließe sich fortsetzen. Ihnen aber Intelligenz und weitere herausragende menschliche Eigenschaften absprechen zu wollen, wäre falsch. Schließlich ist gerade das Beispiel der Madame de Pompadour ein eindrückliches Zeugnis dafür, was erreicht wird, wenn sich Schönheit mit Klugheit paart. Im Gegensatz zu anderen «Dienstleisterinnen» und ebenso ihren Vorgängerinnen und Nachfolgerinnen kalkulierte Madame von Beginn ihrer «Amtszeit» weitsichtig ein, dass körperliche Köstlichkeiten einem unbarmherzigen Verfalldatum unterworfen sind. Und zudem wusste sie genau, dass dies auch dem König nicht entgehen würde. Sie war eine Meisterin der Diplomatie, sicherte sich durch Vernetzung und Bündnisse ihre Stellung. Und da sie zur damaligen Zeit als eine der gebildetsten Frauen galt, gab sie auch nach Beendigung ihres Daseins als Bettgespielin des Königs weiterhin den Ton bei Hofe an. Die sexuellen Bedürfnisse des einstigen Geliebten wurden von ihr weitsichtig verwaltet, und sie sorgte mit großem Organisationstalent für dessen regelmäßige hormonelle Entlastung, ohne ihre Stellung aufgeben zu müssen und ohne einer Nachfolgerin Platz zu machen. So wurden die dafür vorgesehenen Damen dem König jeweils nur ein einziges Mal zu Diensten gestellt, um die Möglichkeit einer sich anbahnenden Beziehung möglichst gering zu halten. Leider steht diese verwaltungstechnische Strategie heutigen Frauen kaum zur Verfügung. Die Zahl derer, die jäh von einer anderen, in der Regel wesentlich Jüngeren, ersetzt werden, ist immerhin beachtlich.

Man könnte nun diesen Herren vorwerfen, die jeweilige Frau an ihrer Seite vor allem ihrer erotischen Attribute wegen zu erwählen, die sie in der Öffentlichkeit wie eine Trophäe als sichtbares Zeichen der eigenen genitalen Leistungsfähigkeit vorzeigen möchten. Gelegentlich berührt es beinahe peinlich, wie sich gestandene, intelligente Männer plötzlich wie Achtzehnjährige gebärden und voller Stolz ihre Eroberungen präsentieren.

Die Verurteilung dieses männlichen Verhaltens ist aus feministischer Sicht Programm. Mit bissiger, gehässiger Kritik und vor allem Geringschätzung kommentieren nicht nur wir Feministinnen derartiges Balz- und Brunftgehabe. Wenn wieder einmal eine unrühmliche Affäre auffliegt, bei der ein Herr seinem Triebhaushalt blind gefolgt ist und damit seiner Karriere ein jähes Ende setzt, bleiben Spott und Hohn nicht aus: wieder ein Beweis dafür, wie leicht die männliche Verstandeszentrale außer Betrieb zu setzen ist. Auch ich bekenne, mich über lange Zeit dieser Beurteilung angeschlossen zu haben – bis ich eines Besseren belehrt wurde.

Alles fing harmlos...

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